Informatisches Kolloquium Sommersemester 2008

Montag, 14. Juli 2008

Prof. Dr. G.G. Voß
Professur für Industrie- und Techniksoziologie
TU Chemnitz

Der arbeitende Kunde. Wenn Konsumenten zu Dienstleistern für die Dienstleister werden — und das web 2.0 gigantische Gewinnmöglichkeiten zu versprechen scheint

Der Beitrag beschäftigt sich aus arbeitssoziologischer Sicht mit dem Konsumenten. Dies ist nicht selbstverständlich, auch wenn das Thema Konsum unter Überschriften wie Produktion und Konsumtion oder Arbeit und Reproduktion eine traditionsreiche Fragestellung ist. Spätestens mit dem Strukturwandel von Arbeit und Ökonomie hin zu einer Dienstleistungsökonomie vollziehen sich jedoch in diesem Feldinteressante Veränderungen. Die Kunden werden dabei nicht nur immer systematischer in ihrer Eigenschaft als Käufer beachtet, sondern mehr als bisher in die unmittelbaren Arbeitszusammenhänge von Unternehmen integriert. Der externe Faktor Kunde wird zunehmend als Feld erkannt, auf das zur Kostenreduktion betriebliche Funktionen ausgelagert werden können (Outsourcing auf den Kunden). Kunden werden dabei zum Teil sogar schon explizit als Dienstleister gesehen, die komplementär zur Kundenorientierten Dienstleistung der Betriebe Unternehmensorientierte Dienstleistung erbringen sollen.

Der Beitrag verfolgt die Überlegung, dass sich in der Folge solcher Strategien das Verhältnis von produktiver Arbeit im Betrieb und der außerbetrieblichen Aktivität der Gebrauchswertnutzer tiefgreifend verändern könnte. These ist, dass sich eine neue Qualität der gesellschaftlichen Konsumtionsfunktion entwickeln könnte, die zugespitzt so formuliert werden kann, dass sich ein neuer aktiver Grundtypus des Konsumenten andeutet, der den bisherigen, eher passiv (als Käufer) auf dem Markt, wie dann auch in der (konsumtiven) Nutzung der Güter agierenden klassischen Kunden ablöst. Dieser neue Kundentypus wird als Arbeitender Konsument bezeichnet, weil sein zentrales Merkmal eine systematisch erweiterte und vor allem betrieblich explizit gesteuerte und genutzte aktive Produktivität ist, die ihn nicht nur zum Ko-Produzenten, sondern zur partiellen Arbeitskraft oder zur Quasi-Arbeitskraft (so zwei schon etablierte Begriffe) für Betriebe macht.

Das interaktive Internet (web2.0) hat bei dieser Entwicklung eine besondere Bedeutung. Es entstehen dadurch völlig neuartige Möglichkeiten der Verlagerung von Funktionen auf Kunden, die für eine neue Qualität der Wertschöpfung (Der Kunde als Wertschöpfungspartner) genutzt werden können. Die Vielfalt der aktuellen Experimente ist kaum mehr zu überschauen. Inzwischen breit popularisierte Schlagworte zu diesem Feld (v.a. crowdsourcing, wisdom oft the masses, open innovation u.v.a.m.) verschleiern jedoch mehr, als dass sie Klarheit verschaffen.

Diese Vermutung steht in expliziter Parallele und Ergänzung zur These des Arbeitskraftunternehmers da es nicht nur erstaunliche Analogien gibt, sondern ganz offensichtlich Zusammenhänge: der sich möglicherweise herausbildende aktive und in seinen produktiven Leistungen gezielt in betriebliche Vorgänge einbezogene Kunde ist nämlich (strukturell gesehen) nichts anderes, als der (auf der anderen Seite) zunehmend betrieblich externalisierte Arbeitskraftunternehmer. Beide Formen und die dahinter stehenden betrieblichen und gesellschaftlichen Prozesse sind (so die Vermutung) zwei Seiten einer gemeinsamen Entwicklung, bzw. sie sind zwei Seiten eines neuartigen Typus gesellschaftlicher Subjektivität (als Arbeitskraft und Konsument).

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Dr. Guido Gryczan
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