Informatisches Kolloquium Wintersemester 2006/2007

Montag, 15. Januar 2007

Dr. Uwe Oestermeier
Institut für Wissensmedien
Knowledge Media Research Center
Tübingen

Virtuelle Lernszenarien als Behavior Settings

Traditionell spielt sich institutionalisiertes Lernen in räumlich abgeschotteten und zeitlich stark reglementierten Formen ab, wie sie jeder Seminar- oder Vorlesungsteilnehmer kennt. Aus ökopsychologischer Sicht wird damit das Verhalten der Beteiligten viel stärker durch die jeweilige Lernumwelt als durch individuelle Lernvoraussetzungen wie z.B. Vorwissen und Motivation bestimmt. Die Verhaltensregulation durch die Umwelt kann durch das Konzept des "Behavior Settings" (Barker 1968) detailliert beschrieben werden. Mit Modifikationen läßt sich dieses Konzept auch auf virtuelle Lehrveranstaltungen anwenden (Blanchard 2004). Bei computer-basierten Lehrveranstaltungen fallen die örtlichen und zeitlichen Beschränkungen traditioneller Settings weitgehend weg. Trotz des Versuchs, basale Merkmale realer Umwelten softwareseitig nachzubilden, führt der Wegfall der kollektiv geteilten physikalischen Umgebung meist zu zusätzlichen kognitiven Belastungen. Zum Teil resultieren diese Belastungen daraus, das die Strukturierungshilfen, die reale Umgebungen gleichsam beiläufig bieten, in die Selbstverantwortung der Lernenden gestellt werden.

Diese ökopsychologischen Sichtweise wird anhand des Virtuellen Graduiertenkollegs "Wissenserwerb und Wissensaustausch mit neuen Medien" illustriert. Behavior Settings sind in der Kognitionspsychologie kaum beachtet worden, doch liefern sie einen wichtigen deskriptiven Rahmen, wie sich das menschliche Verhalten in räumlich und zeitlich abgegrenzbare Muster gliedert und inwieweit überhaupt kognitive Prozesse unter Fremd- oder Eigenkontrolle stehen. Usability-Tests werden damit um eine eher molare Sichtweise ergänzt, die für die Einschätzung der Praktikabilität neuer Technologien bislang kaum genutzt wurde.

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Prof. Dr. Ch. Habel
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